Umgang mit Parameterwerten zur Herleitung und Bedingungen für die Anwendung von Freigabewerten zur Beseitigung geringfügig radioaktiver Stoffe auf Deponien im Freigabeverfahren

Sichere Beseitigung geringfügig radioaktiver Abfälle auf Deponien

Warum hat sich die SSK mit dem Thema befasst?

Beim Abbau stillgelegter Kernkraftwerke aber auch in Industrie und Medizin fallen Abfälle an, die geringfügig radioaktiv sind. Bei Einhaltung festgelegter Werte können solche Abfälle zur Beseitigung auf Deponien freigegeben werden.

Um die Sicherheit am Ort und in der Umgebung einer jeweiligen Deponie, auch für die Zukunft, zu gewährleisten, wurde das Dosiskriterium „im Bereich von 10 µSv im Kalenderjahr“ für die effektive Dosis festgelegt. Die Einhaltung dieses Kriteriums kann im Einzelfall der Prüfung durch die genehmigende Behörde unterliegen. Diese Prüfung erfordert dann einen Abgleich der vorliegenden Bedingungen einer Deponie mit den bei der Herleitung der Kriterien zur Freigabe getroffenen Annahmen und Parametern.

Die Handreichung der SSK gibt eine Hilfestellung für die Durchführung solcher Über­prüfungen und eine transparente Erläuterung zur Interpretation der Kriterien, Annahmen und Parameter.

Welche Fragen werden behandelt?

  • Wie wurden die Freigabewerte der Strahlenschutzverordnung hergeleitet?
  • Welches Vorgehen ist zur Prüfung der Einhaltung des Dosiskriteriums zweckmäßig?
  • Was bedeutet die Einhaltung eines Dosiswerts „im Bereich von …“?

Was sind die Kernaussagen der SSK zu diesem Thema?

  • Die Überprüfung auf Einhaltung des Dosiskriteriums sollte schrittweise erfolgen. Vertiefte Prüfungen sollten auf relevante Aspekte beschränkt werden. Solche Über­prüfungen können dazu beitragen, die Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen.
  • Eine Überprüfung des Grundwasserpfades ist in der Regel nicht notwendig. Die Konservativität bei der Herleitung der Freigabewerte ist beim Grundwasserpfad besonders hoch.
  • Die Ausschöpfung der jährlich zulässigen Massen zur Deponierung sowie die Ausschöpfung der Freigabewerte in den deponierten Abfällen sollten in die Bewertung einbezogen werden.
  • Das Dosiskriterium kann als eingehalten gelten, wenn bei einer statistischen Dosisverteilung der Mittelwert 10 µSv und das 95%-Quantil 20 µSv im Kalenderjahr nicht überschreiten.
  • Eine Verletzung des Dosiskriteriums ist nur bei erheblichen Abweichungen von den Annahmen und Parametern der Herleitung der Freigabewerte zu erwarten.

Abstract

Mit der Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland Ende April 2023 ist der Atomausstieg in Deutschland vollzogen. Inzwischen gibt es in Deutschland rund 30 stillgelegte Kernkraftwerksblöcke, die abzubauen sind. Dabei fallen in großen Mengen Abfälle an, die freigegeben werden können. Insbesondere die Einlagerung freigegebener Abfälle auf Deponien steht dabei im Fokus der Öffentlichkeit und wird von Teilen der Bevölkerung kritisch hinterfragt. Es gibt intensive Bemühungen bei zuständigen Landesbehörden und Deponie­betreibern, die Schadlosigkeit der Entsorgung auf den jeweiligen Deponien zusätzlich zur Einhaltung der Freigabewerte durch besondere Nachweise zu belegen. Damit verbundene aufwändige behördliche Überprüfungen können zwar zur Akzeptanz in der Öffentlichkeit beitragen, führen aber auch zu Verzögerungen, die sich auf den Abbaufortschritt eines Kern­kraftwerks auswirken können.

Vor diesem Hintergrund hat die Strahlenschutzkommission (SSK) im Jahr 2021 beschlossen, eine Handreichung zu erstellen, die den zuständigen Behörden im Vollzug der Freigabe zur Beseitigung auf Deponien eine Hilfestellung bei der Beurteilung der Einhaltung des Dosis­kriteriums für die Freigabe – die effektive Dosis darf nur im Bereich von 10 µSv  im Kalenderjahr liegen - geben soll. Die SSK beabsichtigt damit eine Verbesserung der Freigabeverfahrensabläufe insbesondere beim Rückbau der Kernkraftwerke.

Die Handreichung befasst sich mit der Freigabe zur Beseitigung auf Deponien, nicht aber mit der Freigabe zur Beseitigung in Verbrennungsanlagen oder weiteren Freigabeoptionen der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV).

Die Anwendung der Freigabewerte für die Beseitigung auf einer Deponie erfordert stets eine behördliche Befassung mit der für den Einbau der Abfälle vorgesehenen Deponie. Die StrlSchV stellt Anforderungen an die Deponieklasse und die durchschnittliche jährliche Gesamteinlagerungsmenge, so dass diese Voraussetzungen behördlich zu überprüfen sind. Ist eine der Voraussetzungen der StrlSchV zur Freigabe nicht erfüllt, so ist ein Einzelfallnachweis der Einhaltung des Dosiskriteriums erforderlich. Neben einem solchen Einzelfallnachweis können gemäß StrlSchV weitergehende behördliche Überprüfungen notwendig sein, wenn der zuständigen Behörde Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Dosiskriterium für die Freigabe am Standort der Entsorgungsanlage nicht eingehalten wird. Das Dosiskriterium für die Freigabe muss nach deutschem Strahlenschutzrecht eingehalten werden; die bloße Einhaltung der Freigabewerte genügt zum Nachweis nicht. Neben den rechtlich geforderten Überprüfungen können weitere Prüfungen eine Erhöhung der Transparenz bewirken, die zur Erhöhung der Akzeptanz in der Öffentlichkeit beitragen kann.

Eine Überprüfung der Einhaltung des Dosiskriteriums in konkreten Freigabeverfahren setzt Kenntnisse der Modellannahmen und Parameter bei der Herleitung der Freigabewerte voraus. Diese Herleitung ist komplex und nicht leicht nachvollziehbar. Auch Konsequenzen von Abweichungen einzelner Bedingungen oder Parameter im Einzelfall von den generischen Modellannahmen sind nicht leicht zu beurteilen. Die SSK hat daher in dieser Handreichung die Modellierung und Parametrisierung bei der Herleitung der Freigabewerte zur Beseitigung auf Deponien detailliert dargestellt. Eine für diese Handreichung durchgeführte Sensitivitäts­analyse zeigt die Robustheit des Verfahrens hinsichtlich abweichender Einzelparameter. Die Ergebnisse zeigen aber auch, welche Parameter im Hinblick auf das Dosiskriterium entschei­dend sind und daher bei einer Überprüfung vorrangig beachtet werden sollten. Dies sind vor allem die jährlichen Arbeitszeiten einer einzelnen Person beim Einbau von freigegebenem Abfall auf der Deponie sowie die Fahrtzeiten beim Transport zur Deponie, wenn diese mehr als etwa 100 km vom Abfallerzeuger entfernt ist. Bei gegenüber den Modellannahmen geringerem Abfluss des Vorfluters einer Kläranlage, die die Sickerwässer einer Deponie behandelt, sollte die mögliche Nutzung des Vorfluterwassers angesehen werden, da der Umfang einer Nutzung die mögliche Dosis bestimmt.

Da diese Ergebnisse von charakteristischen Eigenschaften der Radionuklide wie Halbwertszeit, Strahlungsart sowie Migration und Transfer in der Umwelt abhängen, wurde die Sensitivitäts­analyse für eine Reihe von Radionukliden durchgeführt, die das gesamte Spektrum der in der Praxis bedeutsamen Radionuklide abdecken. Dabei sind von der Betrachtung auch Radio­nuklide abgedeckt, die bei der Freigabe von Abfällen aus der Medizin, Technik und Forschung zu berücksichtigen sind. Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse, dass erhebliche Abweichungen von den Annahmen und Parametern der Herleitung der Freigabe­werte vorliegen müssen, bevor es zu einer Verletzung des Dosiskriteriums kommen könnte.

Ausgehend von den Ergebnissen der Sensitivitätsanalyse und bisherigen Erfahrungen aus der Praxis wird ein schrittweises Vorgehen vorgeschlagen, mit dem behördliche Untersuchungen zielgerichtet auf sensitive Modellannahmen ausgerichtet werden können, um die Einhaltung des Dosiskriteriums zu belegen. Neben Abweichungen von den sensitiven Modellannahmen und Parametern können dabei auch tatsächliche Massenströme und Ausschöpfungsgrade der Freigabewerte sowie die jeweiligen Nuklidvektoren berücksichtigt werden.

Publikation zitieren

Strahlenschutzkommission (SSK). Umgang mit Parameterwerten zur Herleitung und Bedingungen für die Anwendung von Freigabewerten zur Beseitigung geringfügig radioaktiver Stoffe auf Deponien im Freigabeverfahren, verabschiedet in der 330. Sitzung der Strahlenschutzkommission am 30.01.2024. https://www.ssk.de/SharedDocs/Beratungsergebnisse/DE/2024/2024-01-30_Handreichung-Freigabe.html